„Der Go-Weg“ oder „The Way of Go“

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2004 schrieb Troy Anderson ein wegweisendes Buch zum Thema, welche interessanten Ähnlich­keiten es zwischen der strategischen Spielweise im asiatischen Spiel „Go“ und strategischen Verhaltensweisen im beruflichen und privaten Leben gibt.

Troy teilt sie in 8 Dimensionen oder Grundregeln ein, die er schrittweise und ausführlich erläutert – anhand selbst erlebter Situationen in Beruf und Privat­leben oder auch mit Hilfe von bekannten Beispielen aus der globalen Wirtschaft. Während in den genannten Ländern jedes Kind diese Regeln daheim und in der Schule lernt und sein Leben lang anwenden kann, sind diese Einsichten für gutes strate-gischen Handeln in westlichen Ländern oft kaum bekannt.

Erfahrenen Go-Spielern wird so Manches bekannt vorkommen und interessant sein, wie sehr sich strategische Go-Grundregeln in Beruf und Privatleben ähneln. Umgekehrt bietet Troy Ent­scheidungs­trägern aus Wirtschaft und Gesellschaft klare Anregungen, sich mit diesen Erkenntnissen näher zu beschäftigen und vielleicht sogar das Go-Spiel für sich bewusst als Hilfe zum „Strategie-Training“ einzusetzen.

Das Go-Spiel ist extrem leicht zu erlernen, bietet jedoch ausreichend Komplexität, um sich ein Leben lang darin zu üben und mit Gegnern zu messen. Beim Go setzen zwei Spieler abwechselnd Steine auf ein Brett mit 19×19 Gitterpunkten, wobei die Steine nach dem Setzen nicht mehr bewegt werden, aber eingeschlossen und damit gefangen werden können. Gewonnen hat der Spieler mit dem auf dem Spielfeld größten Territorium.

Auf die detaillierten Go-Spielregeln selbst wird erst im Anhang des Buchs eingegangen, weshalb es sinnvoll sein kann, sich zunächst mit den Grundlagen des Go-Spiels vertraut zu machen und ein Gefühl für Spielweise und Komplexität zu bekommen.

Die 8 strategischen Dimensionen bzw. Grundregeln lauten wie folgt:

1. Global oder Lokal – Aus welcher Perspektive betrachten Sie?
2. Schulden oder Sicherheit – Gehen Sie Risiken ein oder spielen Sie auf Nummer sicher?
3. Schlaff oder Stramm – Spielen Sie locker oder straff?
4. Zurück oder Voran – Schauen Sie zurück oder nach vorne?
5. Wir oder Sie – Wer ist Freund und wer ist Feind?
6. Führen oder Folgen – Sollten Sie zugreifen oder warten?
7. Ausdehnen oder Fokus – Diversifizieren Sie oder vereinheitlichen Sie?
8. Sorry – es gibt keine Regeln

Die 8. Regel ist humorvollerweise ein Hinweis darauf, dass all die Regeln subjektiv sind und in der Verwendung sehr stark von der vorgefundenen Situation abhängen.

Um diese Grundregeln als Grundprinzipien des strategischen Denkens zu erläutern, wird jede Grundregel in diverse „taktische“ Verhaltensweisen zerlegt – oft mit Hilfe bekannter Sprichwörter und immer im Gesamtzusammenhang.

In „Global oder Lokal“ werden Spielbeginn (auf dem zunächst leeren Spielfeld), Mittelspiel und Endspiel unter die Lupe genommen – jede Spielphase besitzt eine eigene Grundstrategie und führt zu interessanten Einsichten. Beispielsweise ähneln die Überlegungen bei jedem Spielzug der agilen Arbeitsweise in der Geschäftswelt, um in jeder Iteration (Spielzug) zunächst die Situation zu analysieren, Prioritäten zu setzen, den entschiedenen Zug durchzuführen und schließlich die Reaktion des Gegners und den eigenen Erfolg zu reflektieren. Demzufolge spielt man zunächst „sabaki“, also leicht, anpassungsfähig und flexibel und im späteren Spielverlauf dann eher im Detail auf der Suche nach dem bestmöglichen verbliebenen Zug.

Sprichwörter wie „Plan-Änderungen willkommen“, „Spiele den Stein mit den größten Möglich­keiten“, „Gib das Kleine auf, um das Große zu gewinnen“ oder „Sei nicht zu gierig“ passen gut in diese erste Strategie-Grundregel.

Im Kapitel zu „Schulden oder Sicherheit“ geht es um die Balance zwischen Risiken einzugehen oder auf Sicherheit zu spielen – ein ständiges Thema auch im privaten und beruflichen Umfeld. Hier findet man Einsichten wie „Dringende Steine sind wichtiger als große Steine“, „Passe das Risiko deinem Erfolgsfortschritt an“, „Spiele in den größten freien Bereich“ oder „Kämpfen ist ein Zeichen der Stärke, doch Kämpfen um des Kämpfens willen ist eine Schwäche“.

In „Schlaff oder Stramm“ geht es um die Frage, wann man eher locker und wann sehr eng am Gegner spielt, wann man angreift und wann verteidigt und ob Angriff/Verteidigung eher aus der Distanz oder Nähe erfolgen sollte. Dies sind beispielsweise typische Fragen bei der Strategiefindung in der Auseinandersetzung mit Wettbewerbern. Aber auch das Sprichwort „Wirf gutes Geld nicht schlechtem hinterher“ findet im Go Parallelen.

Bei „Zurück oder Voran“ wird auf die Dualität des Spiels eingegangen: Yin & Yang, schwarze und weiße Steine, die Balance aus Angriff und Verteidigung, das Territorium des Gegners mit seinen Augen sehen – abstrakte Mustererkennung, die für strategische Entscheidungen oft eine Rolle spielt und eine Voraussetzung, die nächsten eigenen und gegnerischen Züge gedanklich durchzuspielen.

Anschließend wird in „Wir oder Sie“ darauf eingegangen, wie wichtig es ist, im Go-Spiel die richtige Balance zu finden, denn das Ziel ist ja nicht (wie beim Schach), den Gegner zu zerstören, sondern „nur“ am Ende etwas mehr Territorium zu besitzen. Dementsprechend wichtig ist es, nicht nur sich selbst gut einschätzen zu können, sondern auch den Gegner – ansonsten verliere man die Hälfte seiner Spiele.

Neben dieser Weisheit wird auch das Konzept des SHU – HA – RI erwähnt, das sogar für asiatische Firmen wie Toyota große Bedeutung hat: SHU bedeutet, sich das gesamte Grundwissen gründlich anzueignen und HA, einen Ansatz auszuprobieren, der sich von den zuvor verwendeten Ansätzen unterscheidet. Die höchste Stufe RI schließlich beinhaltet, neuartige Ansätze zu entwickeln, die einzigartig für einen selbst sind.

In „Führen oder Folgen“ geht es darum, wann man führen kann und wann folgen sollte. Zumeist gilt der Grundsatz, dass man eher folgen wird, wenn man „Schulden“ hat, also ungelöste Risiken auflösen muss, und dass man führen kann, wenn man relativ sicher ist. Doch es gibt auch Situationen, in denen man führt, indem man folgt – nämlich dann, wenn der Gegner „für einen“ arbeitet. Und es hängt natürlich davon ab, den richtigen Zeitpunkt zu finden, ab dem man führen kann („sente“) oder folgen („gote“) sollte.

Das letzte Kapitel „Ausdehnen oder Fokus“ widmet sich der bekannten Problematik: „Du kannst nicht alles tun, was du willst, wenn du begrenzte Zeit und begrenzte Ressourcen hast“. Laufende Überprüfung und Anpassung der (Spiel-)Strategie sind dafür notwendig ebenso wie das Behalten der Übersicht, das leichte Spiel („sabaki“) und die Nutzung von latent offenen Bedrohungen des Gegners. Viele Hinweise zu vorangegangenen Kapiteln des Buchs schließen auch hier den Kreis der Argumentation.

Ein insgesamt also sehr lesenswertes Buch, das nicht nur uralte Weisheiten erläutert, die bei Strategiefindung helfen, sondern auch viele Beispiele bringt, anhand derer man die aktuelle Bedeutung auch in der heutigen Welt erkennt. Ein Schatz asiatischer Weisheit, der der westlichen Welt sicherlich viel Inspiration geben kann.

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